
Unsere Exkursion nach Torgau in den ehemaligen geschlossenen Jugendwerkhof hat bei uns einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Zur Erklärung: Jugendliche wurden dort zur Umerziehung hingebracht. Sie sollten nach dem sozialistischen Menschenbild und dessen Werten erzogen werden. Sobald man sich in irgendeiner Weise von anderen Kindern oder Jugendlichen unterschied – sei es durch Lautstärke, mangelnde Kooperation oder eine kritische Haltung gegenüber dem Staat und dem sozialistischen System –, konnte man leicht in ein Kinderheim eingewiesen werden. Verhielt man sich auch dort nicht angepasst, wurde man an einem beliebigen Tag nach Torgau verlegt.
Die Kinder und Jugendlichen wussten nie, wann sie abgeholt werden würden. Es wurde ihnen zwar angedroht, doch niemand wusste, wann es geschehen würde. Man wurde von einem Auto abgeholt und nach Torgau gebracht. Anschließend folgte die Einweisung: Zuerst musste man durch ein Treppenhaus gehen und stand dann in einem Raum. Fragen durften nicht gestellt werden, denn darauf folgten Schläge. Die Papiere wurden registriert, was mehrere Stunden dauern konnte. Danach wurde man in einen Raum gebracht, in dem sich die Jugendlichen ausziehen mussten. Ihr Körper wurde an allen Körperöffnungen untersucht und die Haare abrasiert. Ab diesem Zeitpunkt gab es keine Individualität mehr. Danach folgten drei Tage Einzelarrest.
Torgau war anders als die anderen Kinderheime. Der Jugendwerkhof in Torgau war geschlossen – das hieß, man konnte seine Zeit nicht draußen verbringen. In offenen Jugendwerkhöfen war dies in Absprache möglich. In Torgau jedoch gab es einen strikten Tages- und Wochenablauf.
Dies und vieles mehr wurde uns bei der Ankunft erzählt. Wir sind danach in den Keller gegangen und haben uns die Dunkelkammern und den sogenannten „Fuchsbau“ angesehen. Wir fanden die Stimmung dort sehr bedrückend. Wir sind froh, dass es so etwas heute nicht mehr gibt! Es war kalt und es gab wenig Platz in den Kammern. Das Einzige, was sich dort befand, war eine hochgeklappte Matratze und ein Hocker. Doch der Fuchsbau übertraf alles bei Weitem: Die Tür war winzig, und es gab darin nicht einmal Platz zum Stehen. Es gab kein Fenster, nur kalte Wände und den Boden. Wir können uns nicht vorstellen, dort mehrere Tage zu bleiben – so wie es die Jugendlichen damals mussten.
Anschließend sind wir in die Ausstellung gegangen und haben uns Akten von ehemaligen Heimkindern angeschaut. Sie waren sehr unterschiedlich: Manche waren prall gefüllt mit Strafen, andere nahezu leer. Es gab einen Gang, in dem die Einweisung noch einmal dargestellt wurde. An den Wänden waren die Tagesabläufe der Jugendlichen sowie passende Zitate einiger ehemaliger Heimkinder zu sehen. Ein Raum hatte vier Türen, die mit Informationen über die Zeit in Torgau gefüllt waren. In einem anderen Raum waren Bilder von Jugendlichen, die aufleuchteten und sprachen. Sie erzählten vom Jugendwerkhof und von ihrer Zeit dort.
Das Interessanteste am Tag war jedoch das Zeitzeugengespräch. Eine Frau kam zu uns in den Raum und beantwortete alle Fragen, die wir vorbereitet hatten. Sie war sehr freundlich und offen, doch man sah ihr an, dass ihre Zeit dort nicht leicht gewesen war. Sie erzählte vom sexuellen Missbrauch durch den Direktor, von den Strafen und Demütigungen, vom Fuchsbau, vom Alltag – und davon, wie sie in den Jugendwerkhof gekommen war. Corinna hat viel Schlimmes erlebt, doch sie hat eine Selbsthilfegruppe mit vielen Betroffenen gegründet.
Die Erlebnisse, die sie schilderte, waren sehr bedrückend und machten uns Gänsehaut. Trotzdem ist sie eine starke Frau, die sich immer wieder mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt. Dafür verdient sie großen Respekt. Heute kann man sich solche Zustände kaum noch vorstellen. Zum Glück hat sich die Einstellung zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen deutlich verbessert.
Fabienne und Hannah, Klassenstufe 10